Diese Aufzeichnungen habe ich für junge Reiterinnen und Reiter niedergeschrieben. Sie werden nicht immer voll ausgebildete Pferde zur Verfügung haben, oft auch solche, die vielleicht aus Mangel an Liebe verdorben und deshalb weitergegeben wurden, jedenfalls habe ich beim Schreiben vorausgesetzt, dass meine jungen Freunde von Anbeginn an sich vor die Aufgabe gestellt sehen, ein junges oder aus anderen Gründen noch unfertiges Pferd ausbilden oder zumindest fordern zu müssen. Nichts Schöneres gibt es für jene, die Pferde lieben.
Was berechtigt mich zu diesem Vorhaben?
Da sind zunächst die siebzig Jahre eines vierundachtzigjährigen Lebens, die ich mit Pferden befasst war. Darunter waren die Jahre, die ich als echter Amateur neben meinem Beruf die Möglichkeit hatte, im internationalen Springsport „mitzumischen". Ein kürzeres und schwächeres linkes Bein, das ich aus dem Krieg davongetragen hatte, machte dies nicht gerade leichter, verpflichtete aber zu besonderer Gewissenhaftigkeit und ständiger Selbstkritik. Viel später dann war es mir beschieden, als Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees das Geschehen auf vielen der großen Turnierplätze der ganzen Welt mitzuerleben. Auch bin ich dankbar dafür, dass ich noch heute in der Lage bin, täglich nicht nur auf dem Pferd zu sitzen, sondern auch nach bestem Können gewissenhafte Arbeit zu leisten. Dazu kommen die vielen Fehler, die ich über die Jahre gemacht und aus denen ich gelernt habe. Und schließlich ist es die Dankbarkeit jenen Pferden gegenüber, die mir meine Fehler verziehen und mir unendliches Glück beschert haben. Dieses Glück möchte ich mit anderen teilen. Ich gehöre nicht zu jenen Großen der Reiterei, denen ich so oft unterlegen bin und schon gar nicht will ich das Können meiner erfolgreichsten Turnierjahre mit jenem vergleichen, das heute Reiter der Spitzenklasse auszeichnet. Ich weiß aber auch, dass ich mich durch meine Mängel nicht entmutigen ließ und dass ich nie, niemals einen dieser Fehler bei meinen Pferden suchte. Ich meine auch, dass ich stets glückliche Pferde unter meinem Sattel hatte.
Alle diese Erfahrungen möchte ich an jene weitergeben, die - bewegt von der Liebe zum Pferd - bereit sind, Gewissenhaftigkeit zu ihrer Richtschnur zu machen. So ist aus meinen Erfahrungen und den Überlegungen, die ich dazu angestellt habe, dieses Buch geworden. Es soll junge Reiter vom ersten Tag ihres Reiterdaseins an begleiten, über die Zeit hinweg, da ihr Können es ihnen erlaubt, ein Pferd auszubilden bis zu ihrer und ihres Pferdes Turnierreife.
Hier scheiden sich die Wege von der Dressurreiterei. Ich war Springreiter und ich mute mir nicht zu, eine Meinung zu ernster Dressurarbeit zu haben, die über eine saubere L-Dressur hinausgeht. Andererseits vertrete ich aber sehr wohl die Ansicht, dass jedes Springpferd letztendlich in der Lage sein muss, eine ordentliche L-Dressurprüfung „hinzulegen". Eigentlich ist aus diesem Buch ein „Lesebuch" geworden, das vielleicht auch erfahrene Reiter dazu veranlassen könnte, sich mit meinen Gedanken auseinander zu setzen. Es liegt mir nicht so sehr an Zustimmung als an der Anerkenntnis der Notwendigkeit ununterbrochener und wiederholter Auseinandersetzung aller Reiter mit diesen Fragen.
Dörfles, im Frühjahr 2005